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Wer kennt das nicht? Es kommt zu einem Missverständnis, das unterschiedlich bewertet wird. Und jeder ist der Meinung, der andere habe Schuld. Das kann sich hinziehen, andauern und Folgen haben. Für beide oder alle Seiten. Verzeihen können ist eine Kunst, die viel Stärke zeigt und viele Schwächen behebt. Verzeihen können erlaubt die eigene Lebenszeit und Gesundheit wertzuschätzen und die Auswirkungen des Vorfalls selbst zu bestimmen. Wer will das nicht?

Warum ist gerade dieses Verzeihen können so schwer? Dafür gibt es so viele Gründe wie Muscheln am Meer. Sicher ist es für viele wichtig, die Gründe zu erforschen. Nur – helfen uns Gründe wirklich weiter?

Streiten um Sichtweisen?

Ich habe viele Menschen erlebt, die zwar detailliert erklären konnten, warum sie etwas getan hatten, was dann zum Zerwürfnis führte. Aber dennoch keinen Schritt näher an der Klärung desselben waren.

Ich habe noch nie zwei Menschen erlebt, die einen heftigen Streit in gleicher Weise erlebten. Aus der gleichen Sicht also.

Der Grund ist einfach:

Hätten beide eine auch nur ähnliche Sichtweise oder könnten die des anderen zumindest auch einmal kurz einnehmen – so gäbe es den Streit gar nicht. Wozu denn auch? Beide Seiten haben ja eine Chance. Verstehen hilft also sehr beim Verzeihen können. Oder macht es sogar unnötig, weil es nichts zu verzeihen gibt.

Was sagt Ihr Körper dazu?

Schauen wir uns die körperlichen Auswirkungen von Streit und emotionalen Belastungen an. Jeder Streit belastet Sie und Ihren Körper. Jeder. In welchem Ausmaß – bestimmen Sie zu großen Teilen mit.

Warum erwarten so viele von ihrem Körper, dass er etwas kann – noch dazu „selbstverständlich“ – wozu so viele nicht bereit sind? Verzeihen können gilt auch für Ihren Körper. Kann er das wirklich noch? Er empfindet Ihr Verhalten garantiert anders als Sie.

Diese belastenden Auswirkungen nehmen viele durchaus „unterschwellig“ wahr. Unterschwellig bedeutet, dass Ihre eigenen Wahrnehmungen so „weggedrückt“ werden, dass sie nicht über die Reizschwelle kommen und so bei Ihnen auch keine Verhaltensänderung auslösen können. Um es einmal einfach darzustellen.

Ihre erste Präferenz ist dann nicht Ihr Körper, sondern Ihre Position zu verteidigen. Womit Sie den Angriff allerdings erst zum Angriff machen. Ihr Körper hat das Nachsehen.

Holen Sie Ihren Körper ins Boot!

Das geht wie bei jedem fairen Dialog: Hören Sie auch ihm zu. Er ist schließlich der einzige Partner, den Sie ein Leben lang haben!

Achten Sie einmal bewusst bei solchen Auseinandersetzungen auch auf die Signale von innen. Sie sind meist sehr deutlich. Das Herz schlägt plötzlich im Hals, uns bricht der Schweiß aus, wir bekommen einen roten Kopf und schwitzige Hände.

Die Mimik drückt das aus, was wir empfinden. Zorn und Angriff. Die Nase wird etwas gerümpft, was die Falte von der Nase zum Mund vertieft, die Zähne werden leicht gebleckt. Kann man gut bei Hunden beobachten. Sind wir Hunde?

Die Haltung ist angespannt und vornübergebeugt, der Nackenbereich hochgezogen, alle Muskeln sind angespannt. Auf in den Kampf, Torero!

Allerdings: Ein schöner Anblick sind wir dann alle nicht. Und nur Sie allein können für sich selbst da Abhilfe schaffen. Warum fällt gerade das alles erleichternde Verzeihen können dann oft so schwer?

Dort ansetzen, wo es hakt

Und es hakt – wie meistens – an der Wahrnehmung. Würden Sie sich in den vielgepriesenen „ruhigen Momenten“ auch dafür entscheiden, so auszusehen wie im Affekt der eigenen Verteidigung? Oder es zulassen, Ihrem Gegenüber all Ihre Schwächen, Verletzlichkeiten und vielleicht auch Fehlreaktionen auf dem Silbertablett zu präsentieren?

Wohl kaum.

Zorn verhindert jede Empathie, alles ist auf Kampf gepolt. Der Stresspegel wird von unserem Körper ja erst auf unsere Anforderung der „Verteidigung“ nach oben katapultiert.

Und je länger Sie an dem Vorfall „herumknabbern“, weil Sie nicht verzeihen können, desto länger wird auch der Stress hochgehalten. Mit den bekannten Stressfolgen. Die dann Ihre Rechnung sind. Wer will schon eine Rechnung bezahlen müssen, bei der er nicht einmal den Gesamtpreis sehen kann?

Es hakt also am Hinsehen und Zuhören. Und bei Ihrem Körper am „Hineinfühlen“. Wenn Sie lernen, das, was Sie da in Ihrem Inneren zu fühlen und zu erkennen bekommen, wieder zu verstehen, können Sie naturgemäß auch die Folgen Ihres Verhaltens durch Korrekturen vermeiden.

„Ich seh mich ja dann nicht!“

Das wären auch die falschen Ansprechpartner, da Ihre Augen optische Reize im Außen wahrnehmen sollen. Und auch Ihre Ohren leiten überwiegend Außenreize weiter.

Aber Sie haben noch viel mehr, was Ihrer Eigenwahrnehmung dient. Schließlich macht es immer Sinn zu wissen, wie Sie Ihre Stärken einsetzen können. Verzeihen können ist dabei übrigens eine Ihrer größten Stärken mit hoher positiver Wirkung!

All Ihre Gefühle, Emotionen und körperlichen Reaktionen sind Ihnen ja durchaus zugänglich! Vorausgesetzt Sie bemühen sich um den Zugang. Es ist wie mit anderen Menschen auch. Wenn wir etwas sein oder bekommen wollen, müssen wir uns in der Regel erst einmal selbst darum bemühen.

Oder spüren Sie kein Herzrasen? Sehen Sie Ihr gerötetes Gesicht als ein Zeichen Ihrer Blutdruckerhöhung nicht im Spiegel, wenn Sie so richtig „auf 180“ sind?

„Ich steh‘ dann doch nicht vorm Spiegel!“

Warum eigentlich nicht? Ist Ihnen das nicht einen Versuch wert? Nur für Sie und Ihren Körper? Gut, das erfordert auch Mut, aber der Erfolg ist wahrhaft bahnbrechend, wie ich immer wieder erlebe.

Denn Sie haben ja kein Risiko, dass jemand Ihr Verhalten miterlebt, dafür jedoch die ungebremste Chance „vor Veröffentlichung“ Ihr inneres Drehbuch etwas umzuschreiben.

Ein Coachee nannte es einmal: „Das Pleiten-sparen“, was ich sehr treffend finde.

Das ist sehr hilfreich für Ihre inneren Systeme, weil sie dann schneller die „Stressantwort“ in den „Erholungsmodus mit Wiederaufbau“ überführen könnten. Und Sie sich schon dadurch schnell besser fühlen.

Schauen Sie sich selbst bei Ihren Auseinandersetzungen doch einfach mal zu. So z.B. bei wütenden Selbstgesprächen nach so einem Ärger ganz allein vorm Spiegel. Oder filmen Sie sich dabei mit Ihrem eigenen Handy. Und das so, dass Sie keine „Beobachter“ aus Ihrem Umkreis dabei haben, damit Sie auch fair sich selbst gegenüber sind. Dann sehen Sie sich Ihr Video zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Stimmungen immer mal wieder an.

Wie nehmen Sie sich dann wahr?

Auch hier geht es wieder um das Verzeihen können! Diesmal – wie übrigens meistens beim Verzeihen können – sich selbst. Denn so eine „Selbst-Gegenüberstellung“ kann Ihnen ja durchaus auch eigene Verhaltensweisen aufzeigen, die Ihnen selbst vielleicht anfangs „peinlich“ oder „unangenehm“ sind.

Hingegen sich selbst und auch die eigenen Schwächen zunehmend zu akzeptieren, um sie gelassen korrigieren zu können, ist auch eine Form von Verzeihen können. Und diejenige, die Ihr Selbstvertrauen sehr unterstützt.

Daraus kann sich oft eine „hilfreiche Bremswirkung“ im Falle eines Streites für Sie selbst und Ihr Gegenüber ergeben. Sie gibt Ihnen den Raum, sich schnell selbst abbremsen und entspannen zu können. Um danach Ihre Beobachtungen bei sich selbst für Ihre Veränderungen und Korrekturen sehr gut nutzen können.

Das vermindert jene reflektorischen und uns hinterher oft peinlichen Reaktionen, die einerseits häufig aus durchaus älteren (bis überlagerten) Denkmustern stammen können und andererseits per se nicht auf die gegebene Situation durchdacht sein können – siehe reflektorisch, also blitzschnell.

Verantwortung für sich selbst ist ungewohnt

Wir sind schon länger an eine gewisse Anspruchshaltung gewöhnt. Nicht nur bei anderen, sondern auch uns selbst gegenüber. Auch wenn wir das im Grunde gar nicht wollen, rutschen solche Ansprüche gern auch einmal unbemerkt durchs Raster.

„Wieso ist denn jetzt da Regen, die Vorhersage sagte doch eindeutig, es wird nicht regnen. Anspruch: Wie kann es sich der Himmel erlauben, jetzt doch zu regnen!“

Oder auch und bedeutend nachteiliger:

„Ich bin schließlich Patient und der Arzt muss mir ja helfen, dazu ist er ja als Arzt verpflichtet. Anspruch: Das muss er jetzt hinkriegen, sonst ist er ein schlechter Arzt.“

Das ist dann die Variante nach dem Motto: „Ich lass Ihnen jetzt mein Bein da und Sie bringen das Knie bitte wieder in Ordnung, ja? Unerwähnt bleibt dabei: ‚Was ich vorher durch meinen eigenen Umgang damit beschädigt habe!

Solche Ansprüche täuschen ein Recht vor, dass so nicht existiert. Das Schein-Recht, die eigene Verantwortung erst unerlaubt auf andere zu übertragen und diese dann für etwas zu strafen, was man selbst nicht zuwege brachte. Das heißt, wo Ansprüche bestehen, sind Sanktionen nicht weit. Selbst wenn es juristisch berechtigte Ansprüche sind, führen Sanktionen menschlich nie weiter.

So scheint oft selbstverständlich, was nie selbstverständlich ist.

Wann ist etwas selbstverständlich?

Wenn es sich aus den allen Personen bekannten Zusammenhängen heraus für alle Beteiligten klar so ergibt und nicht anders hergeleitet werden kann.

Wie oft klären wir in der Kommunikation solche Übereinstimmungen gründlich ab? Wie oft gehen wir statt dessen nur vom eigenen Verständnis aus? Ohne zu hinterfragen, ob es dazu noch andere „Verständnisse“ gibt, die ihrerseits schon dadurch eine Berechtigung haben, dass nun einmal jeder seine eigene Sichtweise hat. Und meist nur seine eigene.

Das Wissen, das wir in den allermeisten Fällen ein anderes Verständnis von etwas haben als unsere Mitmenschen, hilft Ihnen erst einmal vom Missverständnis als Regel in der Verständigung auszugehen. So können Sie sich vorsichtig und auf Augenhöhe mit allen anderen Beteiligten abgleichen und zum Konsens kommen.

Dadurch erübrigt sich jedes Beurteilen. Ohne Urteil keine Strafe. Wodurch auch Verletzungen – eigene wie die anderer – zwangsläufig selten werden. Was es Ihnen viel leichter machen kann, sich selbst und andere so zu verstehen, dass Sie leichter verzeihen können, falls es mal wirklich eine kleine Differenz gibt.

Verzeihen und Selbstachtung

Immer wieder stelle ich fest, wie eng aggressives Verhalten mit der eigenen Selbstachtung verbunden ist. Und auch mit der Nähe zum Gegenüber.

Je uninteressierter jemand am anderen ist, desto schneller wird eine Entschuldigung heruntergeleiert, die ihren Namen nicht wert ist. Das gipfelt im ‚hingerotzten‘ „Tschuldijen se schon“, was sich eher nach: „Haben Sie sich doch nicht so, ist doch nicht so schlimm!“ anhört. Was wohl eher kein Verzeihen können beim Gegenüber zur Folge haben wird.

Für wen ist das nicht so schlimm? Sie sehen, hier geht’s um die eigenen Sichtweisen. Nicht um das verletzte Gegenüber. Was den Verletzten auch noch ins Licht der Lächerlichkeit zieht statt ihn zu besänftigen. Wobei eine Entschuldigung ohnehin nur dann eine ist, wenn der ‚Verletzte‘ sie annimmt. Was er so wohl eher nicht tun wird.

Was hindert Sie am Verzeihen?

Das kann vieles sein. Sehr oft sind es Ängste, nicht für voll genommen oder ausgenützt zu werden oder den Wiederholungseffekt zu befürchten, wenn man verzeiht.

Manchmal durchaus verständlich, aber besonders ungut ist das Bedürfnis strafen zu wollen. Und zwar ungut auch für den Strafenden. Weil es nichts anderes als Rache ist. Die nicht umsonst als „unterste Schublade“ bezeichnet wird. „Ich fühle mich verletzt oder bloßgestellt, also will ich das die andere Person jetzt auch fühlen lassen.“

Prinzip: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Das hatte ja schon bisher zu unzähligen „Blinden ohne Zähne“ geführt mit mehr als genug Beweisen, dass Konfrontation nichts bringt.

Mit Rache outet sich jeder sofort als unfähig, auf zwischenmenschlicher Ebene gelassen zu agieren. Und begibt sich auf das Niveau desjenigen, der ihn verletzt hat.

Warum nicht fragen statt beharren?

Fragen helfen, weil sie öffnen. Besonders jene, die Sie sich innerlich selbst stellen, können so viel bei Ihnen bewirken.

Sollte mich das denn verletzen, was derjenige sagte? Und warum hat es mich getroffen? Stand ich vielleicht selbst auf tönernen Füßen und wusste das im Grunde auch?

War es vielleicht nur unüberlegt? Bedauert die Person vielleicht sogar selbst bereits, das gesagt zu haben? Und wenn nicht, wieso ist mir deren Fehler dann so wichtig?

Wieso mache ich mich lächerlich für einen Menschen, von dem ich denke, dass er mich bloßgestellt hat?

Tue ich dann mit mir nicht dasselbe, was ich bei ihm empfand? Stelle ich mich nicht auch selbst bloß?

Setze ich mich nicht selbst ins Unrecht durch meine Haltung? Bin ich mir gegenüber dann etwa fairer, als er es mir gegenüber war?

Welche Kreise zieht meine Verweigerung dieser Person gegenüber in meinem Umfeld? Welche Menschen verletze ich selbst dadurch? Womöglich Menschen, die mir doch viel bedeuten?

Will ich wirklich zeigen, dass ich mit dieser Verletzung nicht anders umgehen kann, als mich „bockend“ zurückzuziehen? Verletze ich damit andere, die damit ja gar nichts zu tun haben?

Woher habe ich denn die Befugnis, mich zum menschlichen Richter über andere aufzuschwingen und sie zu strafen?

Die menschliche Würde ist unantastbar, ja so denke ich auch. Und welche Würde taste ich womöglich mit meinem Verhalten an? Außer meiner eigenen?

Eigene Freiheit durch Verzeihen

Um von den Reaktionen anderer unabhängiger zu werden, ist es ein guter Weg, Ihre eigene Sichtweise und Position in Ruhe zu überdenken und sich selbst wertzuschätzen.

So wie Sie sind. Mit allen Ihren Schwächen und einigen Fehlreaktionen und mit Ihren ganzen Stärken und Ihren vielen Vorteilen. Wenn andere diese nicht erkennen können, warum helfen Sie ihnen nicht dabei? Sie so sehen zu können, so wie Sie gesehen werden wollen, wie Sie meinen zu sein. Mit Ihren ganzen positiven und starken Eigenschaften!

Wollen Sie nicht lieber selbst bestimmen, ob Sie verletzt sein wollen? Oder es nach ruhigem Überlegen überhaupt sein können? Und lieber selbst Ihre Schwachstellen in Ihrer Argumentation entdecken – bevor andere dies tun können? Wollen Sie sich nicht lieber selbst verzeihen können und dann durchstarten?

Konzentrieren Sie sich statt dessen doch lieber auf all Ihre vielen Wesenszüge, die Sie ganz anders zeigen! Fröhlich, sehr wohl zu Öffnung und Veränderung fähig, fantasievoll, herzlich und ein wichtiger Teil Ihrer Gemeinschaft.

Eine kleine Starthilfe

Wahrscheinlich kennen die meisten von uns solche Situationen, in die man sich innerlich verrannt hat und locker mit einer festverschlossenen Auster konkurrieren könnte.

Und doch ist dahinter so oft viel Menschlichkeit eingeschlossen, die „raus will, aber noch nicht kann“. Wenn Sie sich Ihre ersten Fragen nicht allein stellen wollen, sondern sich meine Unterstützung dabei wünschen, dann melden Sie gern bei mir, wir finden sicher einen Weg, der Ihnen für sich selbst zusagt.