Immer wieder ein Thema, auch weil es viel tiefer reicht, als die bloße Anrede vermuten lässt. Es geht eben nicht um die Anrede allein, sondernd darum, wofür sie steht. Du oder Sie – Nähe oder Distanz. Sie wählen den Abstand, mit dem Sie sich wohlfühlen und der Ihnen ausreichend Freiraum gibt. Wer hat das Recht, Ihren Abstand zu unterlaufen? Niemand. So zeigt die Wahl der Anrede die wahre Entscheidung dahinter: Du oder Sie – Nähe oder Distanz.
Die Wahl der Distanz oder auch des Abstands zu anderen, dem Sie zustimmen können, mit dem Sie sich wohlfühlen, ist Ihr Recht auf den Raum Ihrer Persönlichkeit. Der Raum, den nur Sie vorgeben und der ohne Ihre Einwilligung nicht betreten wird. Wer sollte Ihnen dieses Ur-Recht absprechen?
Das heißt nicht etwa, dass alle Ihre Nachbarn gleich ausziehen müssen, weil sie Ihnen zu nah an Ihrem privaten Bereich wohnen. Dieser Abstand, um den es hier geht, ist nicht räumlich, sondern wird geprägt von Ihrem inneren Bedürfnis nach Distanz, nach Ihrem Freiraum für Ihre Entscheidungen.
Jedem das Seine – auch Ihnen
Es bringt nichts, diesen Raum ‚gewaltsam zu stürmen“ und das Wahlrecht der Anrede zu unterlaufen, gar kategorisch von außen selbst für den oder die anderen „einfach“ zu bestimmen.
Zwang bringt nichts. Oder genauer, er bringt nichts, außer dem zweifelhaften Ergebnis, dass Sie nun nicht mehr wissen, wie groß der Abstand der Menschen zum Erzwingenden in Wahrheit und insbesondere nach der erzwungenen Nähe aussieht.
Das aufgedrückte „Du“, welches nicht geteilt wird, nicht akzeptiert wird, wird so eher zum Meilenstein der Distanzierung – aber einer Distanz, die aus Gründen des Selbstschutzes nicht mehr offen gezeigt wird.
Und sich genau deshalb umso gefährlicher erweisen kann, da sich diese ebenso verschwiegene wie auch schweigsame Distanz unauffällig und leise in einem ganzen Unternehmen auszubreiten vermag. Du oder Sie – Nähe oder Distanz hat also weit mehr Auswirkungen als die Wahl der Anrede glauben lässt.
So wie das bei vielen anderen erzwungenen Verhaltensweisen auch nicht wesentlich anders ist, selten war und wohl auch selten sein wird.
Was nicht akzeptiert wird, wird nicht mitgetragen. Und dafür hat jeder der Beteiligten häufig einen anderen Grund, eine andere Emotion, wenn Sie genauer hinsehen und präziser nachfragen.
Sind Sie aber altmodisch…!
Ist Ihnen das auch schon einmal passiert? Wenn etwas nicht passt, dann flugs das passende Stempelchen hervorgeholt und mit abfälliger Bewertung hinein in die entsprechende Schublade.
Wenn… dann… Bewerten… Schublade. Prima, alles wieder gut!
Ja? Wirklich?
Ich selbst habe überhaupt nichts gegen das „Du“, finde es oft auch sehr unkompliziert und lockerer und gehe auch gern darauf ein, wenn mein Gegenüber mir den Raum für meine Entscheidung lässt, da ich nicht per se bereit bin, auf die Wahl Du oder Sie – Nähe oder Distanz zu verzichten. Warum auch? Es sei denn, es ist mir einfach nicht wichtig, wie mich jemand anspricht.
Ausgenommen bei meinen Coachees, sie haben immer die freie Wahl.
Mir macht es auch nicht das Geringste aus, altmodisch genannt zu werden. Das steht jedem ja frei, mich so zu sehen, wie er mich sehen möchte. Egal, wie alt ich bin oder wie ich wirklich bin oder denke.
Macht das Sinn?
Nur was bringt es, zu glauben, etwas sicher in einer Schublade verstaut zu haben und dann komplett überrascht festzustellen, dass es da doch noch einige andere gibt, die auch so „altmodisch“ denken?
Was, wenn die nicht mehr alle in die Schublade passen?
Warum sollten denn Menschen, bloß weil sie die Entscheidung Du oder Sie – Nähe oder Distanz selbst treffen wollen, zwangsläufig altmodisch sein?
Vielleicht, weil das mit der Anrede früher so seltsam problemlos funktionierte? Oder weil es früher niemandem absonderlich oder altmodisch oder gar umständlich erschien, diejenigen zu duzen, mit denen man sich darauf geeinigt hatte und den Rest zu siezen, bis sich da etwas anderes ergab?
Das konnten damals sogar schon Kinder. Und die sind wohl nicht altmodisch. Oder doch?
Ist „Nähe“ etwa ein Statussymbol?
Sie wissen schon: Mein Haus, mein Auto, mein Boot.
30 Jahre nach Start des legendären und gern als Persiflage hergenommenen Werbeslogans der Sparkassen scheinen jetzt andere Symbole gesucht zu sein.
Heißt es heute dann: Mein Gegenüber, meine Nähe, meine Duzfreunde?
Mitunter zeigt sich das auch in den sozialen Netzwerken: ‚Schaut mal her, wir duzen uns!‘ Gelegentlich ist dies schon sehr deutlich zwischen den Zeilen zu lesen, zumal wenn der Beitrag, der so betont duzend kommentiert wird, von einer prominenten oder sonst als wichtig eingeschätzten Person gepostet wird. Auf mich wirkt das unterhaltsam.
Da das „Du“ im Netz, bei jungen Menschen und wie auch bei Social Media absolut Usus sein soll, frage ich mich, wieso die Duzerei dann gleichzeitig als Zugehörigkeit zu den „modernen“ Menschen gewertet werden kann, wenn das doch alle tun?
Fasziniert erlebe ich, dass es dann doch wieder – selbst unter jüngeren Menschen – das Ja zum „Sie“ gibt und das mit guten Gedanken dazu und Begründungen dafür.
Geht also doch auch?
Das falsch genutzte „Du“
Immer wieder konnte ich gerade in der Klinik erleben, wie ausgesprochen sensibel viele Menschen auf zu große und vor allem nicht gewollte Nähe reagierten, sich bedrängt fühlten und auch die sonst ganz freundlichen Wesen bissig bis aggressiv wurden.
Als junges Mädchen war ich wegen einer Verletzung beim Reiten kurzfristig in der Klinik. Ich sollte nicht allein ins Bad laufen, sondern immer erst Hilfe holen.
Nun mochte ich Abhängigkeit und Befehle schon damals nicht. Sie machten mich nicht gerade geduldiger.
Kurz nach der Einlieferung lag ich in meinem Bett, als die Tür aufging und die Schwester hereinkam. Damals hießen sie noch Schwestern.
Diese Frau war ein Modell von der übelsten Sorte. Sie brauchte kein „Du“ oder „Sie“ um Abstand und Distanz zu missachten, das bekam sie auch so hin.
Das Recht auf die Wahl Du oder Sie – Nähe oder Distanz? war für sie nur Firlefanz! Und schon völlig unnötig gar bei einem Kind. Was sie mit ihrem Verhalten überdeutlich zeigte.
„So, Du unartiges Mädchen, jetzt gehen wir mal brav zur Toilette, dann waschen wir uns danach anständig die Hände und dann gehen wir fein wieder ins Bettchen.“
Bitte… wie war das?
Ich war neun Jahre alt und mitnichten zurückgeblieben.
Wütend antwortete ich: „Wohin Sie jetzt gehen und was Sie müssen, weiß ich nicht. Aber ich gehe weder mit Ihnen zusammen auf die Toilette noch steige ich mit Ihnen zusammen ins Bettchen. Und drittens muss ich gar nicht.
Letzteres hätte ja schon ausschlaggebend sein können.
Minuten später erlebte ich hautnah mit, wie aus einem falsch genutzten „Du“ ein nicht minder falsches „Sie“ werden kann.
Mein Vater, damals selbst Chefarzt, kam mit dem Chefarzt dieser Klinik ins Zimmer, als diese Schwester noch anwesend war.
Als ich mich gerade über die Schwester beschweren wollte, blieb mir der Mund fassungslos offen stehen: Ich erlebte eine Veränderung dieser Schwester vom ‚überheblichen Zerberus ohne Respekt‘ in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit zur ‚demütig säuselnden Schwester aus Berufung‘, die mir noch heute ein Lachen abringt. Kriegen Sie das erst mal hin!
Da begriff ich, dass Du oder Sie keineswegs nur eine Anrede sind, sondern eine Geisteshaltung. Vom dem Höhenflug zu dieser Kriechspur war eine „Glanzleistung“ in Sachen Opportunismus.
Was zeigt die Geschichte?
Auch daraus lässt sich ja etwas lernen. Auch und gerade bei der Frage: Du oder Sie – Nähe oder Distanz.
Dieses Erlebnis zeigt, wie wichtig es für jeden sein kann, die eigene Einstellung zum „Du“ oder „Sie“ vor dem Hintergrund der Nähe oder Distanz zu prüfen, um auf diese Weise mit der eigenen Haltung überzeugen zu können.
Das ist häufig weitaus überzeugender, da stimmiger.
Angenommen Sie sind gehalten, innerhalb eines Unternehmens die Anrede „Du“ auch gegen Ihren Willen zu nutzen. Als „Order von oben“ sozusagen. Das mag bei einigen Menschen leichter fallen, bei anderen kostet es Überwindung, wie mir gegenüber häufiger zugegeben wird.
Sehen Sie für sich die Möglichkeit, diese Regel einzuhalten, jedoch das „Du“ genauso distanziert zu handhaben, wie Sie das „Sie“ aussprechen würden, wenn es diese befohlene Nähe nicht gäbe? Falls Sie jemandem gegenüber das erzwungene Du einfach nicht vertreten können?
Vielleicht fühlen Sie sich damit wohler, weil es Ihnen mehr Freiraum lässt und deutlich weniger nach willenlosem Unterordnen schmeckt? So zeigen Sie einerseits, dass Sie die Anordnung respektieren, anderseits öffnen Sie sich selbst einen Weg, um möglichst wenig gegen Ihre eigene Überzeugung zu verstoßen.
Das öffnende „Du“
Interessant ist bei diesen Debatten, denen ich immer wieder einmal folge, dass es bei der Wahl zwischen Du oder Sie – Nähe oder Distanz im Grunde doch so leicht gehen könnte. Ohne daraus ein Dogma zu machen! Ohne die eigene Wahl wie eine Fahne vor sich herzutragen und womöglich gar dafür zu nutzen, eine Kategorisierung der verschiedenen Gegenüber vorzunehmen. Kann jeder machen, bringt aber nichts.
Dagegen ich erlebe sehr oft gerade im meinem Netzwerk, dass mich neue Kontakte oft sehr höflich erst einmal ganz normal per Sie begrüßen. Und das dann – nach einigem Austausch und vielleicht einigen guten Kommentaren – durch eine größere Nähe, mehr Verständnis oder mehr Interesse das „Du“ von ganz allein entsteht.
Sanft, freundlich und mit jener respektvollen Art, die beide Optionen zulässt, ohne die Wahl des jeweilig anderen irgendwie zu bewerten.
Akzeptanz: Es ist, wie es ist. Auf beiden Seiten. Das geht auch! Und auch heute noch sogar sehr gut.
Wenn Sie selbst über Du oder Sie – Nähe oder Distanz entscheiden möchten, dabei aber noch das eine oder andere Problem haben, für das Sie eine Lösung suchen, melden Sie sich gern bei mir, wir schauen gemeinsam, auf welchem Weg Sie am ehesten starten möchten.